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  • Die "Flüchtlingskrise" betrifft alle europäischen Staaten, ja es ist zu befürchten, dass die Europäische Union an dieser Frage zu zerbrechen droht. Die Ankunft der Flüchtlinge hat zu Konflikten zwischen den europäischen Ländern und zum Anwachsen rechtsextremer, xenophober Parteien geführt, aber auch zu einem Anstieg an Gewaltakten gegen Flüchtlinge. Unser Erasmus-Projekt soll das Thema "Willkommenskultur in Europa" aufgreifen und stellt sich der schwierigen Aufgabe, den jeweiligen Blick auf die Flüchtlinge mit dem unserer europäischen Partnerländer zu konfrontieren. Die Reaktionen auf die von Angela Merkel durchgesetzte Flüchtlingspolitik war insbesondere in den osteuropäischen Ländern sehr ablehnend, viele Partner fühlten sich von den vorpreschenden Politikern aus Deutschland vor den Kopf gestoßen. Dazu kommt, dass jedes europäische Land auf eine unterschiedliche Geschichte im Umgang mit Flüchtlingen zurückblickt. Die Partnerschulen in Deutschland, Polen, Litauen und Italien einigten sich vor allem darauf, dass in "Lebensbildern" die Schicksale von Flüchtlingen aus den vier verschiedenen Partnerländern vorgestellt werden sollten. Dazu trafen sich kleine Schülergruppen mit Flüchtlingen und interviewten sie über ihren Weg nach Europa, den Grund ihrer Flucht und ihre Erfahrungen in ihrer neuen Heimat. Diese "Lebensbilder" wurden bei dem Treffen in Vilnius in der Schule gezeigt, in Deutschland bei einer Ausstellung beim "Fest der Kulturen" und in der Verbandsgemeindeverwaltung in Bad Bergzabern im September 2018 und sie werden alle noch einmal bei der gemeinsamen Abschlusswoche in Bad Bergzabern im Juni 2019 zu sehen sein. Wir hatten ursprünglich vorgehabt, sie auf einer Internetseite zu präsentieren bzw. in eTwinning einzustellen, aber die befragten Flüchtlinge hatten dies strikt abgelehnt, weil sie Repressionen in ihrem Heimatland - etwa für Angehörige – fürchteten.

    Da die Schüler in Bad Bergzabern wenig über das Gastland Polen wussten, trafen sie sich im Okober 2017 zu einer Veranstaltung des Polenmobils vom Polen-Institut Darmstadt. Hier gab es eine Einführung zu dem Thema "Flüchtlinge im aktuellen Polen", zur Geschichte, Kultur und Sprache Polens. Bei dem ersten internationalen Treffen in Wadowice in Polen im November 2017 beschäftigten wir uns über Power-Point-Präsentationen mit der Situation der Flüchtlinge in den vier Partnerländern und erinnerten uns bei einem Besuch in Auschwitz an Erfahrungen von Ausgrenzung in der Gesellschaft. Es ergab sich dabei aber auch eine Veränderung der Ausrichtung des Projekts: Die Schüler klagten ein, dass der Ansatz der „Lebensbilder“ zu einseitig auf eine empathische Begegnung mit den Flüchtlingen ausgerichtet ist und zu wenig die Sichtweisen in den unterschiedlichen Bevölkerungen in den Blick genommen werden. Dieses Argument leuchtete ein, so dass es in allen Ländern zwei unterschiedliche Arbeitsaufträge gab: Die einen sollten – wie geplant – geflüchtete Menschen befragen und Poster erstellen, die diese Interviews sowie den Lebenshintergrund der Länder, aus denen sie geflüchtet waren, darstellen. Die andere Arbeitsgruppe, wir nannten sie „Für- und-Wider-Gruppe“, sollte sich mit den Vorbehalten gegen Flüchtlinge in unseren Gesellschaften beschäftigen. Dazu wurde schon in Wadowice ein gemeinsamer Katalog von Fragen erstellt, der standardmäßig in allen Ländern an Straßenpassanten gestellt werden sollte. Insgesamt wurden pro Land zwischen 100 und 350 Personen befragt. In Deutschland gab es – besonders nach dem Mord an der 15-Jährigen Mia durch einen afghanischen Jugendlichen im nahen Kandel (15 km von uns entfernt) – ein Welle von flüchtlingskritischen Äußerungen im Internet, aber auch bei monatlichen Demonstrationen eines sogenannten "Frauenbündnisses". Wir verglichen die Äußerungen der Befragten mit diesen anonymen Äußerungen in den Sozialen Netzwerken und kristallisierten sieben Themen heraus, die immer wieder auftauchten. Bestimmten Thesen wurden nun Fakten gegenübergestellt. Auch die Ergebnisse dieser Äußerungen wurden auf Plakaten zusammengefasst, die am 1. September 2018 bei einem Fest der Kulturen und in einer Ausstellung im Rathaus der Stadt Bad Bergzabern gezeigt wurden.

    Bei einer Veranstaltung mit der Soziologin Prof. Dr. Treibel (Pädagogische Hochschule Karlsruhe) am 19.1.2018, setzten wir uns in Bad Bergzabern mit Fragen der Integration von Flüchtlingen nach den Vorfällen von Kandel auseinander. Wie man mit Rechtsextremen Positionen umgehen sollte, wurde bei dem Treffen in Vilnius im April 2018 diskutiert, als die Schüler mit den Referenten der Friedensakademie darüber reflektierten.

    In Deutschland wollte sich die Gruppe gleichzeitig mehr in das Denken der Flüchtlinge einfühlen, dazu wurden zwei Lesungen organisiert: Am 19.2. mit dem kurdischen Autoren Bachtyar Ali, wobei ein Leistungskurs Deutsch, der seinen Roman "Der letzte Granatapfel" im Unterricht gelesen hat, beteiligt war. Am Abend findet eine weitere Lesung für ein größeres Publikum im "Haus der Familie" statt. Die zweite Lesung mit der iranischstämmigen Autorin Mehrnousch Zaeri-Esfahani, deren Jugendbuch "33 Bogen und ein Teehaus" zwei siebte Klassen gelesen hatten, wurde leider am Tag selbst von der Autorin abgesagt. Im Januar 2019 kam eine ehemalige Schülerin, um die Aktivitäten einer privaten Seenotrettungsorganisation "Resquship" vorzustellen.

    Nach dem Treffen von Vilnius fingen alle Gruppen mit der künstlerischen Auseinandersetzung zu den "Lebensbildern" an: Dazu gab es in Deutschland Workshops mit zwei Künstlerinnen Annett Waßmer und Monika Brückner, die jeweils in die Techniken der Mental Maps  und der Installation  einführten.

    Da wir mit der Kooperation zwischen unseren Schulen nicht so ganz zufrieden waren, haben wir entschieden, dass die künstlerische Arbeit transnational fortgesetzt werden sollte. Dafür wurden in Vilnius Gruppen gebildet, die sich virtuell absprechen und ein gemeinsames Produkt erstellen. Bei dem internationalen Treffen in Brescia im November 2018 konnten sich die Schüler noch einmal real sehen und absprechen, wie sie ihre Arbeit organisieren wollten.

    Die Schüler sollten sich gemeinsam mit Schülern anderer Länder zur Infrastruktur des Lebens von Flüchtlingen in ihren Ländern informieren. Z. B. sollen sie untersuchen, wie Sprachkurse, rechtliche Beratung, kulturelle Aktivitäten, Einbindung der Flüchtlinge in die Sozialhilfe, Flüchtlinge in der Schule, Arbeit mit Paten, die Verwaltung, und Anlaufstellen wie Kleiderkammern oder Tafeln etc. in den vier Ländern funktionieren. Die Ergebnisse wurden auf Plakaten zusammengefasst, die auf dem Abschlusstreffen gezeigt werden.

     

    Neben den Plakaten zu "Lebensbildern", "Für und Wider" und "Infrastruktur" und unseren künstlerischen Produkten findet sich eine Vielzahl von kleinen "Nebenergebnissen":

    - Vor der Entscheidung für das Logo gab es über 250 Logoentwürfe (es wurde ein Wettbewerb an den verschiedenen Gymnasien organisiert, über eine Vorauswahl bei dem Treffen in Wadowice wurde von allen Teilnehmern des Projekts über das digitale Tool "Zeetings" abgestimmt)

    - Bei dem internationalen Treffen in Vilnius wurde eine Debatte zum Thema Sollen die EU-Flüchtlinsquoten erfüllt werden?“ nach dem Format Jugend debattiert international organisiert und aufgenommen.

    - Von der Schule in Vilnius wurde ein digitales Kochbuch gestaltet, mit 19 Rezepten der befragten Flüchtlinge. Ebenso bei dem Treffen in Vilnius wurden fünf Bilder auf Stoff zum Thema Lebensbilder erstellt, diese werden in der Abschlusswoche 2019 vorgestellt.

    - Ein wichtiger Punkt war für uns, dass die eTwinning-Seite auch Kollegen unserer Schulen (oder anderen Kollegen, die unsere Seite besuchen), Hinweise auf die Behandlung des Themas, aber auch auf die Arbeit mit eTwinnig selbst geben. Dazu haben wir ein Lehrerzimmer eröffnet, in dem die elektronischen Hilfsmittel erklärt werden, die wir eingesetzt haben, und in dem sich ein „Materialordner für den Unterricht“ befindet. Außerdem geben wir auch wieder, wie das Thema im Fachunterricht an den Schulen behandelt wurde, etwa durch Online-Magazine der Klassen 10d und des Grundkurses Deutsch 12 oder durch ein Projekt im Erdkundeunterricht.

    - Das Projekt hat aber auch auf die Öffentlichkeit ausgestrahlt: In Zusammenarbeit mit dem Haus der Familie wurde eine deutsch-arabische Führung in der Ausstellung "Richard Löwenherz" am Historischen Museum der Pfalz organisiert.

     

    Wadowice: Da die Frage der Flüchtlinge in Polen kaum Verständnis findet, war für unser Projekt wichtig, tief in Polens Geschichte zu schauen, um hautnah sehen zu können, wie stark sie durch Flüchtlinge geprägt ist. Deswegen haben wir ein paar Aktivitäten auf drei Ebenen durchgeführt:

    - unser Erasmus-Team war im Muzeum POLIN in Warschau, wo wir uns einem Workshop „Was uns verbindet? Über die Vielfalt der Religion und die Flüchtlingskrise“ beteiligt haben, und den wir mit dem Besuch der Ausstellung verbunden haben.

    - beim Treffen in Wadowice haben wir ein Stadtspiel veranstaltet, in dem man historische Gestalten (sie waren auch Migranten) der Stadt Wadowice kennenlernen kann.

    Polen waren in ihrer Geschichte auch Flüchtlinge, deswegen sind wir nach Gdynia und Gdańsk (Danzig) gefahren, wo wir zwei wichtige Museen besucht haben: Europejskie Centrum Solidarności (Gdańsk) und Muzeum Emigracji (Gdynia), in dem wir auch an einem Workshop zum Thema „Multikulti ist keine Neuheit” teilgenommen haben und dabei einen echten Flüchtling getroffen haben.

    Um besser die Flüchtlingskrise verstehen zu können, haben wir an einem Seminar an der Jagiellonen Univeristät „Rethinking Refugees: Knowledge & Action” teilgenommen, in dem wir auch hören konnten, wie Polen sich für Flüchtlingsprobleme engagiert, trotz der negativen Stellungnahme der polnischen Regierung. Letztendlich haben wir uns mit dem Problem beim Theaterbesuch auseinandergesetzt, wo wir die Möglichkeit hatten, nach dem Theaterstück „Die Schutzbefohlenen” von Elfriede Jelinek an einer Diskussion mit den Schauspielern und dem Regisseur teilzunehmen.

     

    Vilnius: Das persönliche Kennenlernen der Flüchtlinge ist besonders wichtig, um sie besser zu verstehen. Die erste Bekanntschaft war im nationalen Dramatheater, wo sich die Erasmus+ Gruppe das Theaterstück von Mantas Jančiauskas angesehen hat, in dem Flüchtlinge selbst mitspielen. Das Stück hat uns tief berührt, sodass später sich ein Freiwilligendienst mit der Caritas entwickelt hat.

     

    Brescia: In Brescia war es am wichtigsten, die Flüchtlinge kennezulernen und Informationen was die Aufnahme, die Rettungsoperationen in Lampedusa  und den Arzt Pietro Bartolo anbelangt. Deswegen haben Ausschnitte aus dem Fuocoammare ( Seefeuer) gesehen und kommentiert. Deswegen hat uns die Referentin Stefania Cingia bei Kemay Informationen gegeben, Deswegen haben die Schülerinnen und Schüler die Migranten interviewt und übersetzt. Issouf, den die Schulerinne kennen gelernt und interviewt haben, ist auch Schauspieler und kultureller Vermittler im Theaterstūck "Wir alle haben rotes Blut" (Tutti abbiamo sangue rosso".Im November 2018 fand das Festival der Migration in Modena statt. Wir konnten dran nicht teuilnehmen, weil wir die Erasmus -Gäste gerade in jener Woche hatten. Trotzdem haben wir einige Informationen  davon gesammelt. Während unseres Besuchs in Verona haben wir an dem Workshop Spiele und Spieler auf Reise bei dem Afrikanischen Museum teilgenommen und das Afrikanische Museum besichtigt. Wir haben über die Situation in Lampedusa auch Artikel aus deutschen und österreichischen Zeitungen gesehen. Der letzte war am 23. Mai 2019, weil der Arzt Pietro Bartolo- Kandidat bei Europawahlen ist. 

     

    Das zweijährige Projekt wurde durch eine große Abschlusswoche in Bad Bergzabern abgeschlossen. Künstlerische Arbeiten wurden in der Galerie SOULARTS der Öffentlichkeit gezeigt. Bei einem Abschlussabend in der Aula des Gymnasiums im Alfred-Grosser-Schulzentrum war auch unser vierundneunzigjähriger Namensgeber Professor Alfred Grosser anwesend, dem selbst ein Lebensbild gewidmet worden war. Er war als Flüchtling aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach Frankreich geflohen und hatte sich sein ganzes Leben für die Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich eingesetzt. Beendet wurde die Woche durch ein großes Schulfest, bei dem wir unsere Ergebnisse präsentieren konnten.