Seefeuer - Rezension

  • SEEFEUER« ein Werk von bewegender Intensität und verkauft sein Sujet nie an den Effekt poetischer Verdichtung. Sein Humanismus kristallisiert sich in zwei zentralen Szenen heraus, die bekenntnishaft die beiden Parallelwelten des Films verkörpern: In der einen skandiert ein afrikanischer Flüchtling in einer Art Sprechgesang, fast rituell anmutend, die Geschichte seines langen Wegs durch die Wüste und übers Meer, beklagt den Verlust von Freunden und Weggefährten. In der anderen erzählt der Inselarzt von dem unfassbaren Leid, mit dem er täglich konfrontiert ist – ein Bericht, der zu einem aufwühlenden Appell an die Menschlichkeit wird.

    Es ist die einzige Passage, die den Skandal der »Festung Europa« direkt adressiert. Den politischen Kontext lässt Rosi außen vor, ebenso wie jeden aktivistischen Impetus, der derzeit so manchen Dokumentarfilm antreibt. »SEEFEUER« ist daher auch nicht »der Film zur Flüchtlingskrise«, sondern eine künstlerische Befragung unserer Mitmenschlichkeit, unserer Aufmerksamkeit im Angesicht unermesslichen Leids an den Rändern unserer Wahrnehmung. Das nimmt dem Film aber nichts von seiner politischen Tragweite und Dringlichkeit.

     

    Rosi zeigt Radaranlagen, Marineschiffe und Helikopter auf der Suche nach Flüchtlingsbooten. Auf der Tonspur Funksprüche, dramatische Hilferufe, erwidert von Nachfragen: »Your position, please?« Der mons­trös wirkende technische Apparat der Marine weckt kriegerische Assoziationen, wie jenes sizilianische Lied über den Krieg zur See, das dem Film den Titel gab: »FUOCOAMMARE« steht hier sowohl für das »brennende Meer« wie für das rettende Signal der Leuchttürme. Mit der gleichen Ruhe wie die Lampedusianer zeigt er auch die Menschen, die von der Marine aufgenommen werden, erleichterte, erschöpfte, manchmal auch sichtlich traumatisierte Gestalten, in Goldfolie gehüllt, oft in Nah- und Großaufnahmen. Es sind andere Bilder als jene, die wir aus dem Fernsehen kennen. Und obwohl wir keinem Flüchtling so nah kommen wie den Insulanern – was auch dem Umstand geschuldet ist, dass die Ankömmlinge nur sehr kurze Zeit auf Lampedusa verbringen –, zeigt der Film nicht einfach anonyme Massen.Jenseits des gleichmacherischen Etiketts »Flüchtling« werden die Gesichter von Individuen erkennbar. So beobachtet Rosi auch ein Fußballmatch in einem Auffanglager – eine wichtige Szene, da sie die Geretteten in einem Kontext von Spiel und Freude darstellt, in dem sie weder Opfer der Politik noch Objekte von Rettung und Registrierung sind. »SEEFEUER« erspart dem Zuschauer aber auch nicht die grauenhaften Seiten seines Themas: mit dem Tod ringende Menschen, ihre verzweifelten Angehörigen, die Leichensäcke, ein Schiffsraum voller Toter. Es sind schwer zu ertragende Bilder, die freilich ebenso zwingend in diesen Film gehören.

    Bei einigen Aufnahmen von Menschen in Ausnahmezuständen fragt man sich unwillkürlich, ob Rosi ihr Einverständnis erfragt hat oder ob er – vergleichbar der journalistischen Arbeit in Kriegsgebieten – die Zeugenschaft der Kamera als legitim voraussetzte. Auch andere Passagen provozieren Fragen. In manchen der lampedusischen Alltagsszenen irritiert beispielsweise die allzu inszeniert wirkende Akkuratesse von Kadrierung, Kamerabewegung und Dialog.