Gegenbesuch der italienischen Gäste aus Parma an der Johann-Philipp-Reis-Schule

  • Seit September 2014 arbeiten die Johann-Philipp-Reis-Schule in Friedberg und das Liceo Attilio Bertolucci in Parma im Rahmen eines  von der EU geförderten zweijährigen Erasmusprojektes   „Today we make tomorrow through yesterday – Vom Massaker in Marzabotto bis zum Aufbau der Europäischen Union“ zusammen.  Die Schüler sollen die leidvollen Kapitel der italienisch-deutschen Geschichte im Verlauf des Zweiten Weltkrieges kennenlernen und  die Bedeutung der Europäischen Union als Rahmenbedingung eines friedlichen Zusammenlebens der Menschen in Europa schätzen lernen.

    Im September reisten nun 27 italienische Schüler mit ihren Lehrern zum Gegenbesuch nach Friedberg. Alle italienischen Schüler konnten bei Gasteltern untergebracht werden und so einen Einblick in das alltägliche Leben in einer deutschen Familie gewinnen, wie umgekehrt die deutschen Schüler beim Besuch  in Parma die italienische Lebensart kennenlernen konnten.

    Die Johann-Philipp-Reis-Schule hatte ein dicht gepacktes Programm vorbereitet. Nach der Ankunft der Gäste am Montagabend wurden die Schüler am Dienstag vom Friedberger Bürgermeister Keller im Bibliothekszentrum höchstpersönlich begrüßt, der in seiner Rede auch auf die seit langem bestehende Partnerschaft Friedbergs mit der  italienischen Gemeinde Magreglio einging.  Stadtarchivar Lutz Schneider hatte sich bereit erklärt, in einem Vortrag die Gäste über die Lage der italienischen Zwangsarbeiter in Friedberg und der Wetterau zwischen den Jahren 1943 – 1945 zu informieren. Als besonders hilfreich erwies sich, dass Frau Ulrike Ludwikowski den Vortrag ins Italienische übersetzte, sodass die Gäste aus Parma diesen wichtigen Ausführungen problemlos folgen konnten. Ein Besuch der Gräber von Zwangsarbeitern und des Grabes von Henry Benrath auf dem Friedberger Friedhof konnte die Fragestellung eindrucksvoll vertiefen. Nicht nur für die italienischen Gäste, sondern auch für die deutschen Schüler und Lehrer war es verblüffend, wie konkret sich die deutsch-italienische Geschichte im Verlauf des Zweiten Weltkrieges  auch in Friedberg und der Wetterau ereignete. Am Nachmittag widmeten sich die Schüler im Rahmen eines Workshops dem zweiten Teil des ERASMUS-Projektes, geht es doch in diesem nicht nur um die Vergangenheit, sondern auch um die Zukunft, konkret um die Bedeutung der Europäischen Union für ein friedliches Zusammenleben der Völker Europas. Den Abschluss des Tages bildete ein gemeinsames Grillen in der Schule, zu dem auch die Gasteltern eingeladen wurden, tragen diese doch einen wesentlichen Teil zum Gelingen des Projektes bei – dafür vielen Dank.

    Am nächsten Tag stand eine bedrückende Begegnung auf dem Programm. Die deutschen und italienischen Schüler trafen zwei  überlebende polnische Häftlinge von Konzentrationslagern, die auf Einladung des Maximilian-Kolbe-Werkes und der Diözese Mainz im Haus St. Gottfried in Ilbenstadt  Schülern in Gesprächen ihre Erlebnisse aus der Zeit ihrer Haft in nationalsozialistischen Konzentrationslagern schilderten. Die deutschen und italienischen Schüler wurden in zwei Gruppen aufgeteilt, wobei die italienischen Schüler mit Frau Alodia Witaszek sprechen konnten, die unter anderem in einem Kinderkonzentrationslager  als 5jährige (!) inhaftiert war. Die deutschen Schüler erfuhren mehr über das Leben von Dominika Adamczewska, die als Sechsjährige mit ihrem Bruder und der Mutter ins KZ Majdanek kam. Die Begegnung mit den Überlebenden hinterließ bei beiden Schülergruppen einen tiefen Eindruck. Am Nachmittag stand dann erneut ein europäisches Thema im Zentrum. Herr Kruse und Frau Rothmund vom Europaclub Friedberg informierten die Schüler über die ganz konkrete europäische Arbeit in Friedberg, sodass klar wurde, dass der europäische Gedanke nicht nur auf der europäischen, sondern auch auf lokaler Ebene umgesetzt wird.

    Am darauffolgenden Tag stand der Besuch der EIOPA, der  europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung in Frankfurt auf dem Programm. Bei diesem Besuch ging es natürlich nicht primär um die Frage der Altersversorgung – junge Schüler haben natürlich andere Dinge im Blick als die Altersversorgung – sondern um die Frage, wie eine offizielle europäische Behörde mit über 100 Angestellten den europäischen Gedanken auf hochpolitischer Ebene umsetzt. Und ganz nebenbei lernten die Schüler, wie wichtig es in einem modernen Europa ist, Fremdsprachen zu beherrschen.

    Der Holocaust und das Judentum sind integraler Bestandteil des ERASMUS-Projektes, daher stand weiterhin der Besuch der  Frankfurter Synagoge im Westend auf dem Programm. Für viele Schüler war der Besuch dieser beeindruckenden Frankfurter Synagoge der erste Besuch eines jüdischen Gotteshauses überhaupt.

    Am Freitag endete der erste große Teil des Besuches und die italienischen Schüler fuhren mit deutschen Schülern weiter nach Dachau, um die dortige Gedenkstätte zu besuchen. Nach der Ankunft in der  Jugendherberge stand die Besichtigung des ehemaligen Konzentrationslagers auf dem Programm. Die wohl nachhaltigste Erfahrung hatte eine italienische Schülerin, deren Urgroßvater als italienischer Soldat in Dachau interniert war. Die Schülerin berichtete ferner, dass der Urgroßvater  in seiner Familie niemals über seine Erfahrungen in Dachau sprach. Weder die italienischen Mitschüler noch die sie begleitenden Lehrer wussten vorher von dieser  tragische Lebensgeschichte. Am Abend trafen sich alle Schüler, um über ihre Eindrücke beim Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers zu sprechen und mehr über das System der Konzentrationslager zu erfahren.

    Am letzten Tag der Projektwoche fuhren die Schüler nach München, um dort im Rahmen eines ausgedehnten Stadtrundgangs  u.a. die Stätten des Nationalsozialismus in München zu besuchen, u.a. die Feldherrnhalle und den Odeonsplatz. Natürlich blieb auch genug freie Zeit für eine Stadterkundung, etwa für den Besuch des Deutschen Museums, sodass der Tag und die gesamte Woche nicht nur mit bedrückenden Erfahrungen enden konnte. Und natürlich freuen sich alle beteiligten Schüler und Lehrer auf ein Wiedersehen in Parma im April 2016!